Die Geschichte vom traurigen Raben.

Es war einmal ein alter kodderiger Rabe, der hatte keinen Bock mehr auf irgendwelche Felder zu fliegen und sich den Bauch vollzuschlagen, mit dem Korn, was diese dummen Menschen seinesgleichen übrigließen.

So zog er sich seinen wärmsten Mantel an, setzte  sich in einen alten Baum und schaute seinen jüngeren Artgenossen zu, wie sie sich unwürdig um die letzten Krumen auf dem abgeernteten Feld prügelten.

Unser alter Freund konnte diesen entwürdigenden Anblick einfach nicht ertragen und so überlegte er sich folgendes:

In Anbetracht der Tatsache, daß es eigentlich ein wunderschöner sonniger Tag war und er sich mit seinem schäbigen Mäntelchen wie ein kompletter Vollidiot vorkam, entledigte er sich zunächst einmal seines zweiten Kunstgefieders um sich sodann, Federn lassend auf den warmen Boden hinab zu begeben.

Kaum hatten seine kleinen Rabenfüßchen diesen berührt, erinnerte er sich seines eigentlichen Vorhabens, sich etwas zu überlegen und setzte sich zwischen zwei abgeknabberte Ähren.

Warum in Gottes Namen, wenn es denn einen Gott für kleine alternde Raben gibt, sollte er sich bis an sein klägliches Ende mit irgendwelchen verschissenen Popelkörnchen zufrieden geben, die irgendwelche hinterfotzigen Menschen, denen Menschlichkeit ohnehin fremd war, ohnehin nicht haben wollten.

„In was für eine scheiß Geschichte bin ich hier eigentlich geraten? Da weiß ja gar keiner mehr, was ich eigentlich will. Können sich die da oben nicht mal `n bißchen einig sein, was mit mir nun geschehen – und wie das alles hier mit mir weitergehen soll? Verdammte Kacke!“

Der Rabe zog sich also seinen Mantel wieder über, nahm einen langen Anlauf und begab sich mit einem kühnen Schwung auf die Landstraße, die das Feld in zwei Teile zerlegte, um sich von dem nächsten Traktor überfahren zu lassen.

Der Asphalt brannte unter seinem, bereits vom ewigen An- und Ausziehen verschlissenen Kunstfedermäntelchen und es schien ihm, als verschmelze er mit diesem, zu einer undefinierbaren fedrigen Masse.

Wenn nicht bald eines dieser riesigen motorisierten Ungetüme erschien, um ihn endlich von dieser sengenden Hitze und seinem jämmerlichen Dasein zu befreien, hätte es das Schicksal wieder einmal geschafft, ihm ein Schnippchen zu schlagen und sein geplanter heldenhafter Abgang, wäre nichts weiter als die letzte verrückte Tat eines Vollidioten.

Plötzlich durchfuhr ein starkes Beben seinen gepeinigten kleinen Körper und ein Jubelkrächzen entfuhr seiner vertrockneten Kehle.

Vor Spannung zitternd und vor Durst röchelnd harrte er der Dinge, oder des Dings, das da endlich über ihn hinwegrollen und ihn zermalmen, ja zerquetschen würde. – Erbarmungslos plattwalzen würde. Ja! Erbarmungslos! Jawohl!!!

Aber wie das Schicksal nun einmal so spielt, wird auch ein Gott einmal ausgewechselt, weil er eventuell müde oder hungrig ist und einer kleinen Pause bedarf.

Schlimm ist es nur, wenn sich die Laune der Gottesvertretung gar nicht mit der, des Gottes verträgt. „…UND DER RABE STIRBT NICHT!!!“, sagt diese trotzig, „ WARUM SOLL EIN ARMER RABE STERBEN, NUR WEIL SO EINEM SCHEISSGOTT MAL WIEDER EINE LAUS ÜBER DIE GOTTESLEBER GELAUFEN IST??!“ (Hierzu sollte der geneigte Leser wissen, daß Götter grundsätzlich in Großbuchstaben sprechen).

So begab es sich also, daß der komische Vogel unserer  merkwürdigen Geschichte immer noch auf der, sich niemals abkühlen wollenden Teerfläche lag und sich sein Ende in den schillerndsten Arafarben ausmalte, als sich unerwartet zu seiner Linken ein zartes Stimmchen meldete : „Psssst! Pssst!“ Der Rabe war vollkommen ungehalten von dieser unwillkommenen Unterbrechung, zumal sich das ersehnte Rumpeln zusehendst näherte. „Hey, was soll das? Labert man einen Todgeweihten dermaßen unsensibel von der Seite an?“ – „Pssst! Pssst!“

„Sag doch mal etwas anderes als dieses dämliche – Pssst! Pssst! Oder besser, halt die Schnauze, weil gleich machts – Brumm, brumm! Und dann – Matsch! Schleim! Und ein letztes mal – Pffft! Und dann hat es sich endlich. ICH WILL ES GENIESSEN, VERDAMMT NOCH MAL! Grrrrrr!“

„ Pssst! Du Rabe, ich habe da ein Geheimnis, das muß ich dir unbedingt erzählen! Dafür mußt du aber erst von der doofen Straße herunterkommen. Das Brummen, das du da hörst ist nur mein Magen. Heute ist nämlich autofreier Sonntag. Also mach keinen Scheiß und laß den Blödsinn!“

Der Rabe grübelte kurz vor sich hin und auf einmal rangen sich folgende, für alle überraschende Worte aus seiner strapazierten Kehle: „ Ich bin total in Andrea verknallt und werde sie bestimmt vermissen, wenn sie aus der Haustür geht. Es war doch soooo wunderschön gestern und heute.“ ….“Verdammt!!…Was erzähle ich denn da?“ fragte sich der Rabe, zerrte den verklebten Flügel von der aufgeweichten Straße und kratze sich damit am Kopf, den er aber auch erst aus dem Teer ziehen mußte. „..ich kenne überhaupt keine Andrea! Das scheint mir wieder eine dieser göttlichen Kommunikationsstörungen zu sein, die in letzter Zeit immer öfter auftreten. Aber wenn Andrea so liebenswert ist, daß sogar Götter ihretwegen Fehler machen, dann muß da ja schon was hinter stecken. Die muß ich kennenlernen. Ich will leben!!!!!!“

„Na also, geschafft,“ meldete sich die Stimme erneut. „Los, steh endlich auf! Mein Gott bietest du einen jämmerlichen Anblick. Eigentlich siehst  du jetzt schon so aus als wäre bereits ein kompletter Konvoi Traktoren über dich hinweg gebrettert.“

„Jetzt hör mir mal gut zu, du nervst du blöde Stimme du. Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, daß du lispelst? Wie soll man dich da denn ernst nehmen und nimm doch endlich die Zange aus deinem Schritt, falls du denn einen hast! Und…und überhaupt…Wieso sehe ich dich eigentlich nicht, he? Wahrscheinlich bist du voll schäbbig! Unglaublich schäbbig! Unsagbar schäbbig! Unbeschreiblich schäbbig. Sozusagen GROTTENSCHÄBBIG!

Ich weiß ja nicht, was du absolut schäbbiges Fistelstimmchen jetzt machst, aber ich für meinen Teil habe keine Lust mehr, wie blöd hier rumzuliegen, wenn sowieso nix mehr vorbeikommt, was mich überrollen könnte. Außerdem habe ich es mir anders überlegt. Eigentlich ist es total albern hier auf dem Asphalt festgeklebt zu sein. Schwarzer Adler auf schwarzem Grund! Mich sieht doch sowieso keine Sau. Also, ich geh jetzt. Und ich finde mich schöööön! Sehr schööööööööön!“

Von seinem Redeschwall vollkommen erschöpft, ließ der Rabe seinen Kopf wieder nach hinten knallen und schloß seine schwarzen Knopfaugen. „So, jetzt habe ich mich genug ausgeruht. Ich geh jetzt aber wirklich. So richtig. So wie in echt.“ Kurzerhand riß er sich mit einem Ruck los. „Scheiße tut das weh!“ Ein paar seiner Federn trennten sich kurzerhand von ihm, blieben am Teer kleben und verabschiedeten sich von ihrem Vorbesitzer.

Just in diesem Augenblick machten die Götter wieder Schichtwechsel. Für nur einen kurzen, wirklich nur kurzen Augenblick für einen Gott, war das Schaltpult unbesetzt. Genau in dieser Zeit versuchte ein gewisser zerzauster Rabe sich aus dem weichen Teer einer Landstraße zu zerren, um sich nach einem ereignisreichen Tag nach Hause zu begeben.

Da hörte er hinter sich eine Stimme. „Hey, du alter Zausel, ich werde dich jetzt töten und verspeisen!“

Erschrocken blickte sich unser gefiederter Freund um und ward eine schreckliche Gestalt gewahr, die sich langsam, mit schweren Schritten auf ihn zubewegte.

Die kleinen Knopfäuglein des Raben quollen über vor Furcht und er bekam eine dicke Gänsehaut, wenn man das über die Haut eines Raben so sagen darf, ohne ihn zu beleidigen. Unser Held versuchte also flügelschlagend das Weite zu suchen, aber leider staken noch zu viele seiner Federn im glänzenden weichen Asphalt der Landstraße.

Und genau die waren seine Rettung.

Als sich das fiese Ungeheuer auf die Verfolgung unseres schwarzen Gesellen machte, mußte es über die Straße und kam dabei mit seinen Füßen auf den, im Teer steckenden, Rabenfedern zu stehen.

Vor Lachen brach das Ungeheuer zusammen, denn es war an den Füßen kitzelig. Das war aber bis dahin sein Geheimnis. Und außer ihm wußte es nur eine kleine, dünne, lispelnde Fistelstimme.

So versank das Ungeheuer sang und klanglos, wenn man von seinem wiehernden Gelächter einmal absieht im Teer der Straße. Seitdem hieß die Straße nur noch – Die Straße des lachenden Todes, der fast einen Raben ohne Federn verspeist hätte. – Böse Zungen behaupten zwar, der Rabe wurde vorher von einer Stimme gewarnt und er hätte deswegen ein paar (ca. 50%) seiner Federn in den Asphalt gesteckt, aber das sind halt die typischen Nörgeler, die auch behaupten, der Name der Straße sei etwas zu lang.

Und unser alter kodderiger Rabe? Wie ist er aus dieser unglaublichen, aber wahren Geschichte herausgekommen?

„Na, wie schon erlesene Leserschaft! Geschwommen bin ich ja wohl kaum und wenn einer von Euch Witzbolden meint, ich sei geflogen, werd‘ ich sauer, aber so richtig sauer, weil ich dann nämlich annehmen müßte, Ihr wolltet mich verarschen! Wie sollte ich mit den letzten erbärmlichen Federchen denn fliegen sollen, he?! Wahnsinnig komisch! Ha, ha! Da kann doch wirklich keiner drüber lachen. Halt! Wer lacht da! Raus!

Sofort raus aus meiner Geschichte! Ich halt‘s nicht aus. Kann denn keiner dieses hirnlose Etwas rausschmeißen? Buh!- Habt Ihr gesehen, dem hab ich es ganz schön gegeben…erst ranschleichen und dann `Buh!` machen. MEMME! OLLER ANGSTHASE! SPEICHELLECKER! Ich werde es Euch verraten. Ihr gebt ja sonst sowieso keine Ruhe…“ „Pssst“

„Und DUUUU hältst dich da ein für allemal raus. Blöde Fistelstimme!

Ich komm noch dahinter, wie DU schäbbiges angeblich körperloses, Kneifzangen verklemmtes Etwas es fertig bringst beim reden dermaßen zu spucken. Das ist ja widerlich! Einfach EKELHAFT!

Aber zurück zu der entscheidenden Frage. Ha! Iiiich biiin geeelauuufeeen! Ha! Gelaufen, was hätte ich denn Eurer Ansicht nach tun sollen?! Nach der kompletten Blamage vielleicht KRIECHEN?!

Ich mach mich doch nicht komplett zum Vollidioten. Ich bin hocherhobenen, kahlköpfigen Hauptes und halbnackt einen trinken gegangen.

Mein Gott, hatte ich einen Brand. Liegt Ihr mal stundenlang auf sonnem ollen, kochendheißem Asphalt rum!“

Und die Moral von der Geschicht? – Sie hat keine! Denn das Leben schreibt nun mal die aberwitzigsten Geschichten und das Schicksal führt Regie. Wie soll sich die Moral bei so einem Chaos auch noch zurechtfinden?!

ENDE

(C) Andreas Franke

 

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